Regulierung von Telegram: Wo der Gesetzgeber juristisch ansetzen könnte
Die Ministerpräsidenten der Länder haben im Rahmen der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) am 09.12.2021 beschlossen, strenger gegen Verschwörungstheorien und „Hate-Speech“ in Kommunikationsdiensten vorgehen zu wollen. Im Zentrum des Beschlusses steht der Instant-Messaging-Dienst Telegram, der jüngst wegen dortiger Gruppen- und Kanalaktivität der Querdenkerszene und weiterer radikaler Gruppierungen Gegenstand medialer Berichtserstattung war.
Während sich Telegram als WhatsApp-Konkurrent zunächst durch seine Funktion Textnachrichten und weitere Inhalte mit bestimmten anderen Nutzern auszutauschen auszeichnete, spielen mittlerweile Gruppen und Kanäle eine immer größere Rolle in der Nutzung des Dienstes. In öffentlichen Gruppen können sich bis zu 200.000 Nutzer des Dienstes ohne Weiteres zusammenschließen und wechselseitig kommunizieren. Mittels der Kanäle können Nutzer Nachrichten an eine unbegrenzte Öffentlichkeit senden. Die Inhalte können auch von Rezipienten wahrgenommen werden, die Telegram selbst nicht nutzen.
Die in Dubai ansässige Plattform war in der Vergangenheit kaum von gesetzlicher Regulierung in Deutschland betroffen. Während Telegram ausweislich der Anbieterwebsite keinen Löschanfragen in Gruppen nachgeht, werden auch sonstige Inhalte in öffentlichen Kanälen lediglich nach einem unternehmensinternen Verfahren auf Anfrage kontrolliert. So entstehen rechtsfreie Räume, in denen Drohungen, Beleidigungen, Fake-News und Verschwörungstheorien ungeahndet kursieren können.
Erste Ansätze dieses Paradigmenwechsels hin zu einer strengeren Regulierung bzw. Aufsicht hat bereits das Bundesamt für Justiz gemacht. Dieses leitete im Sommer 2021 zwei Bußgeldverfahren gegen Telegram ein. Der Vorwurf gegen den Dienst war ein unzureichendes Verfahren für den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte eingerichtet zu haben §§ 3, 5 Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Auf diese Verfahren hat Telegram nach Aussage der Bundesinnenministerin Faeser bis heute nicht einmal reagiert.
Telegram und das NetzDG
Im Zentrum der Diskussion um eine strengere Regulierung des Dienstes steht bislang das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) als die zentrale gesetzliche Regelung. Auch bislang schon soll dieses Gesetz im Kampf gegen Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte in sozialen Netzwerken helfen. So verpflichtet es beispielsweise die Anbieter sozialer Netzwerke zur Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens, bei dem Nutzer rechtswidrige Inhalte melden können. Weitergehend werden Anbieter zur zeitnahen Prüfung und Löschung der gemeldeten rechtswidrigen Inhalte bestimmt. Zum 01.02.2022 wird das NetzDG weiter verschärft. Zukünftig sollen die Anbieter Nutzerdaten an das Bundeskriminalamt übermitteln und ein dafür erforderliches Verfahren einrichten müssen, um die Verfolgung bestimmter Straftaten zu ermöglichen (§ 3a NetzDG). Nur durch die Verpflichtung der Anbieter der Plattformen kann eine effektive Rechtsdurchsetzung gewährleistet werden.
Anwendbarkeit des NetzDG auf Telegram?
Entsprechend nahe liegt zunächst der Schluss, auch Telegram mittels des NetzDG stärker in die Pflicht zu nehmen. Warum dies nicht bereits erfolgt ist, lässt sich durch § 1 NetzDG erklären, der den Anwendungsbereich des Gesetzes definiert:
Definition „Sozialer Netzwerke“
Ausgangspunkt der Anwendbarkeit des NetzDG ist die Einstufung als „soziales Netzwerk“ i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 NetzDG. Ein solches soll aber dann nicht vorliegen, wenn es sich um eine zur Individualkommunikation bestimmte Plattform handelt, § 1 Abs. 2 S. 3 NetzDG. Der Ausnahme folgend, ordnet das für die Durchsetzung des Gesetzes zuständige Bundesamt für Justiz beispielsweise WhatsApp nicht dem NetzDG unter.
Die dichotome Abgrenzung in Plattformen der Gruppen- und Massenkommunikation sowie Plattformen der Individualkommunikation verkennt, dass die Dienste häufig multifunktional ausgestaltet sind. So ist auf Telegram neben dem individuellen Nachrichtenaustausch eben auch die Kommunikation über Kanäle und riesige öffentliche Gruppen möglich. Beide Funktionen des Dienstes stehen sich dabei gleichwertig gegenüber. Damit nähert sich Telegram faktisch den klassischen sozialen Netzwerken, wie Facebook und Twitter, stark an. Allerdings sind die dort üblichen Funktionen der nutzerinteressenbedingten Akkumulation von relevanten Netzwerkinhalten im News-Feed kaum in Telegram implementiert. Wer Zugang zu Inhalten von bestimmten Gruppen und Kanälen möchte, muss diese durch die Suchfunktion innerhalb des Dienstes proaktiv suchen. Eine eindeutige Zuordnung von Telegram als Plattform der Individualkommunikation begegnet daher denselben Bedenken, wie die zweifelsfreie Kategorisierung als soziales Netzwerk. Sofern man dem Ansatz folgt, öffentliche Gruppen oder Kanäle auf Telegram als eigenständige soziale Netzwerke einzustufen, wird jedoch die Anwendbarkeit des Gesetzes regelmäßig an der Bagatellgrenze des § 1 Abs. 2 NetzDG scheitern. Zielführend kann daher nur eine Auffassung sein, die differenziert und die Bestimmungen des NetzDG nur für diejenigen Funktionen von Telegram gelten lässt, die in deren Anwendungsbereich fallen.
Erneute Novellierung des NetzDG erforderlich
Die gegenwärtigen Entwicklungen verdeutlichen, dass eine Regulierung von Telegram angesichts steigender Verbreitung von Extremismus, Fake-News und Verschwörungstheorien auf der Plattform angezeigt ist. Die selbstständigen Maßnahmen des Anbieters sind vollkommen unzureichend. Das NetzDG hat sich bei sozialen Netzwerken wie Facebook zwar nicht als effektivste, aber zumindest in Teilbereichen funktionsfähige Maßnahme gegen das Phänomen etabliert. Der persönliche Anwendungsbereich des Gesetzes kommt durch die multifunktionale Struktur von Telegram an seine Grenzen und erschwert so eine rechtszweifelfreie Gesetzesanwendung. Es sind somit neue Impulse des Gesetzgebers nötig, um sicherzustellen, dass auch auf Telegram keine rechtsfreien Kommunikationsräume bestehen, in denen Hetze und Hass ungehemmt geäußert werden können.
Fünf Ansatzpunkte für juristische Regulierungsmaßnahmen von Telegram durch den Gesetzgeber
1. Anpassung des NetzDG
Um den Schutzzielen des NetzDG gerecht zu werden, ist eine Neudefinition des Anwendungsbereichs nach § 1 Abs. 1 NetzDG erforderlich, der sich von den umgrenzten Begriffen des sozialen Netzwerkes und Telemediendiensts löst. Es sollte ein funktionaler Ansatz verfolgt werden, der an die Fähigkeit des Dienstes zur personenindifferenten Gruppen- oder Massenkommunikation anknüpft. So würden zukünftig auch multifunktionale Dienste erfasst und den Pflichten des Gesetzes unterworfen. Ausgenommen werden sollten Dienste nur dann, wenn deren Gruppen- oder Massenkommunikationsfunktionen eine völlig untergeordnete Nebenfunktion darstellen.
2. Stärkere Sanktionen/Einbeziehung von Google & Apple
Die Gesamtschau der Pflichten aus dem NetzDG, den Bestandsdatenauskunftsansprüchen der Strafverfolgungsbehörden (§ 100j StPO; § 22 TTDSG sowie § 172 Abs. 1, 3 TKG), sowie den verschärften Vorschriften der strafrechtlichen Haftung für Hate-Speech im Netz kann einen wirksamen Beitrag im Kampf gegen Hetze und Hass auf Telegram schaffen. Sie setzen jedoch die Compliance von Telegram selbst voraus. Dass die Androhung von Bußgeldern ineffektiv gegenüber dem im Ausland ansässigen Unternehmen ist, zeigt sich bereits in der fehlenden Reaktion auf die vom Bundesamt für Justiz angeregten Bußgeldverfahren. Der Gesetzgeber ist daher gehalten, weitere Möglichkeiten zu eruieren, welche die Einhaltung der Vorschiften sichern. Hier könnte auch die Einbeziehung von Google und Apple, welche die App auf ihren Plattformen anbieten, Druck auf Telegram ausüben.
3. Ausbau der Zentralen Meldestellen für Hasskriminalität im Internet (ZMI)
Im letzten Jahr haben sich bereits bei den Strafverfolgungsbehörden der Länder die Zentralen Meldestellen für Hasskriminalität im Internet gebildet. Um eine effektive Strafverfolgung zu gewährleisten sind diese Stellen weiter auszubauen. Das gilt insbesondere hinsichtlich des enormen zusätzlichen Arbeitsaufwands durch die ab Februar 2022 in Kraft tretende Meldepflicht nach § 3a NetzDG.
4. Pflicht zur Aufklärung & Sperrung von Fake-News
Falschmeldungen und Verschwörungstheorien unterhalb der Strafbarkeitsgrenze können gleichfalls eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen. Plattformen wie Telegram ermöglichen es den Nutzern mittels geteilten Videos und Sprachnachrichten eine besondere Suggestivkraft entfalten. Die Anbieter sollten folglich zu Aufklärungsmaßnahmen verpflichtet werden, um Nutzer über derartige Gefahren zu informieren. Ebenso wäre denkbar, auch den Bereich der Fake-News derart ins NetzDG aufzunehmen, dass auch diese gewissen Sperrpflichten unterliegen könnten.
5. Einführung einer effektiven europäischen Lösung
Das nationale Bestreben kann nur ein Zwischenschritt im Kampf gegen Hetze, Hass und Fake-News im Internet darstellen. Die Anbieter der Plattformen, die hierfür die Struktur bieten, agieren über Ländergrenzen hinweg. Langfristig kann daher nur eine gesamteuropäische Lösung Aussicht auf Erfolg haben. Mit dem Digital Services Act der Europäischen Union hat die Kommission einen Verordnungsvorschlag gemacht, der genau diesem Bedürfnis gerecht werden kann. Entscheidend wird dabei, dass der europäische Gesetzgeber die Bedeutung der Gruppen- und Massenkommunikativfunktionen erkennt und nach dem Marktortprinzip einer angemessenen Regulierung unterwirft. Nur so können auch außerhalb der EU ansässige Anbieter europäischen Vorgaben unterfallen.
Dieser Beitrag wurde von Dr. Jonas Kahl und und Simon Liepert (WissMit) erstellt.
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