Rechtsprechungsübersicht: Auslandszustellung in deutscher Sprache an Facebook und Twitter
Beim juristischen Vorgehen gegen Soziale Netzwerke stellt sich in Deutschland immer wieder die Frage, ob gerichtliche Beschlüsse in deutscher Sprache an die – meist in Irland sitzenden – Sozialen Netzwerke zugestellt werden können oder ob eine Übersetzung, beispielsweise ins Englische, erforderlich ist.
Denn werden gerichtliche Beschlüsse in deutscher Sprache übersandt, berufen sich Facebook und Twitter häufig darauf, als Unternehmen mit Sitz in Irland keine in deutscher Sprache verfassten Schriftstücke zu verstehen und verweigern die Annahme bzw. stellen die Wirksamkeit der Zustellung in Frage. Verfahrensverzögerungen in dringlichen Angelegenheiten, zusätzliche Übersetzungskosten und generelles Unverständnis auf allen Seiten sind die Folge.
Glücklicherweise hat sich in der obergerichtlichen und erstinstanzlichen Rechtsprechung mittlerweile eine Entscheidungslinie zugunsten der Antragssteller herausgebildet. Instruktiv werden im Folgenden die leitenden Argumente der Gerichte vorgestellt sowie eine Übersicht der öffentlich zugänglichen, diese Thematik behandelnden Entscheidungen vorgestellt.
Argumente der Gerichte
1. Gesetzliche Regelung
Die Frage, in welcher Sprache Schriftstücke zugestellt werden müssen, ergibt sich aus Art. 8 Abs. 1 lit. a) EuZVO. Demnach müssen gerichtliche Schriftstücke in einer Sprache abgefasst sein, die der Empfänger versteht oder in der Sprache des Empfangsmitgliedsstaates. Das bedeutet, dass trotz Sitzes im Ausland die Empfänger Deutsch verstehen können müssten.
Obwohl es Ziel der EuZVO ist, durch die direkte Übermittlung von Schriftstücken, die Zustellung zu vereinfachen und zu beschleunigen, müssen dabei dennoch die Verteidigungsrechte des im Ausland sitzenden Empfängers gewahrt werden. Er muss verstehen können, wozu er verpflichtet wird.
Innerhalb dieser Leitziele nehmen die Gerichte bei der Entscheidung der Frage regelmäßig einen Interessensausgleich vor, an dessen Ende die Entscheidung über die Notwendigkeit der Übersetzung gefällt wird. Diese Entscheidung soll sämtliche im Einzelfall vom Antragssteller unterbreiteten Anhaltspunkte berücksichtigen.
Hat das Unternehmen zu Unrecht die Annahme verweigert, gilt die Zustellung des nicht übersetzten Schriftstücks im Zeitpunkt des Zugangs als wirksam erfolgt.
2. Unternehmen im Ganzen ist zu betrachten, nicht allein leitende Organe oder Rechtsabteilung
Zunächst ist festzuhalten, dass für das Sprachverständnis bei juristischen Personen nicht auf die leitenden Organe oder die Rechtsabteilung abzustellen ist, sondern auf die im Unternehmen vorhandenen und verfügbaren Fähigkeiten, auf die das Unternehmen zumutbar zugreifen kann.
Von solchen kann ausgegangen werden, wenn in dem versendenden Staat (BRD) in größerem Umfang Geschäfte betreibt. Dies gilt auch, wenn das Soziale Medium sich zur Vertragsabwicklung in einer bestimmten Sprache verpflichtet hat.
3. Angebotene Sprache des Portals, der AGB, Nutzungsbedingungen, etc. kann relevant sein
Ins Feld zu führen ist dafür das Gesamtbild des Sozialen Mediums. Die Anzahl seiner Nutzer in Deutschland, die Plattformausgestaltung in deutscher Sprache sowie die deutschen Vertragsunterlagen, d.h. AGB, Nutzungsbedingungen und sonstige Richtlinien, zeigen, dass das Unternehmen die Möglichkeit hat, auf sachkundiges und verstehendes Personal zurückzugreifen. Hinzuzuziehen ist es, wenn in den Unterlagen die Geltung deutschen Rechts und die Zuständigkeit deutscher Gerichte in Verbrauchersachen vereinbart ist, genauso wie der Betrieb weiterer deutschsprachiger Homepages, auf denen bspw. NetzDG-Transparenzberichte publiziert werden.
4. Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten
Indiziell für das Verstehen des Schriftstücks ist es, wenn das Soziale Netzwerk nach Zugang einen Prozessbevollmächtigten benennt, der umfangreich zur Sache und gegebenenfalls auch in der mündlichen Verhandlung zur Sache vorträgt. Es kann dann kaum in seiner Rechtsverteidigung behindert worden sein.
Übersicht über gerichtliche Entscheidungen zu Gunsten der Antragsteller
Die folgende Liste ist eine Aufzählung bisher bekannter Urteile bzw. Beschlüsse deutscher Gerichte, die explizit auf die Zustellungsproblematik eingehen und im Wesentlichen die vorstehenden Argumente anführen. Die Liste wird fortlaufend aktualisiert:
- OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.12.2019 - I-7 W 66/19
- OLG München, Beschluss vom 14.10.2019 - 14 W 1170/19
- OLG Köln, Beschluss vom 09.05.2019 – 15 W 70/18
- OLG München, Beschluss vom 09.04.2019 – 18 W 523/19
- OLG Dresden, Beschluss vom 05.04.2019 – 3 W 286/19
- KG, Beschluss vom 06.03.2019 – 10 W 192/18
- LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 21.11.2019 – 11 O 3362/19
- LG Dresden, Beschluss vom 21. Juni 2019, Az. 1a O 1056/19 und bestätigt durch Urteil vom 12.11.2019, Az. 1a O 1056/19 EV
- LG Stuttgart, Urteil vom 29.08.2019 – 11 O 292/18
- LG Schwerin, Beschluss vom 05.03.2019 – 3 O 162/18
- LG Heidelberg, Beschluss vom 04.10.2018 – 1 O 71/18
- LG Offenburg, Urteil vom 26.09.2018 - 2 O 310/18
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