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Leitfaden zur Panoramafreiheit im deutschen Recht

Paris sehen - und dann sterben

Inhaltsverzeichnis

Ein Foto des Pariser Eiffelturms bei Nacht als Urheberrechtsverletzung?

Das „Selfie“ vor dem beleuchteten Eiffelturm ist ein beliebtes, ja ikonisches Touristenmotiv, aber zumindest in Deutschland auch ein juristisches Reizthema. So kommt es einem zumindest vor, wenn man Google befragt und nach „Eiffelturm, Urheberrecht, Abmahnung“ sucht. Es erscheinen viele, teils dubiose Artikel und Blogbeiträge von aufgeregten Nutzern und selbsternannten Marketingexperten, die nicht nur vor dem Upload und der Verbreitung solcher Fotos warnen, sondern meinen, dass man den Eiffelturm keinesfalls fotografieren, sondern am besten weitläufig umfahren solle. Nicht nur für Verliebte auf Hochzeitsreise eine eher unerfreuliche Vorstellung, gilt der Eiffelturm doch seit der Weltausstellung im Jahr 1900 als das Fotomotiv für Reisende in der Stadt der Liebe.

Doch was hat es nun mit den angeblichen Urheberrechtsverletzungen durch Urlaubs- und Hochzeitsreisefotos auf sich? Immer wieder wird dabei der Begriff „Panoramafreiheit“ in den Ring geworfen. Doch was ist diese Panoramafreiheit genau? Und ist die Verbreitung von Ablichtungen nur lokal bekannter Kunst- und Meisterwerke wie der Johann-Sebastian-Bach-Statue in Leipzig oder von Fotos des Schweriner Schlosses urheberrechtlich zulässig? Und was hat der Kussmund der Kreuzfahrtschiffe von AIDA Cruises damit zu tun? Unser Leitfaden soll etwas Licht ins Dunkel bringen und versucht, diese Fragen zu beantworten. 

 

Was ist die Panoramafreiheit?

Es geht um die Grenzen des Urheberrechts

Eines direkt vorweg: Panoramafreiheit hat nichts mit öffentlichem Baurecht oder Grunddienstbarkeiten zu tun, obwohl die Wortwahl dies durchaus nahelegen könnte. Panoramafreiheit im Sinne des Urheberrechts wiederum bedeutet, dass das bloße Abfotografieren einer Sehenswürdigkeit rein für den privaten Gebrauch und ohne weitere Nutzung keine Rechte Dritter, insbesondere keine Urheberrechte verletzt. Problematisch und emotionsbeladen sind stets nur die Fälle, in denen es um die weitere Verwendung der Abbildungen geht, insbesondere zu gewerblichen Zwecken.

Urheberrechtlicher Schutz gilt auch für Gebäude

Das deutsche Urheberrechtsgesetz (UrhG) regelt nach dessen § 1 den Schutz von Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst. Diese Begriffe sind weit zu verstehen, so dass etwa auch Bauwerke oder Kunst im öffentlichen Raum urheberrechtlichen Schutz genießen. 

Funktionsarchitektur oder Kunstwerk? Der Berliner Hauptbahnhof des Architekten Gerkan.

Wer sich besonders für die Frage der Abgrenzung von schnöder Funktionsarchitektur zu künstlerischen Bauwerken interessiert, dem legen wir die Lektüre der Entscheidung des Landgerichts Berlin (Urteil vom 28.11.2006, Az. 16 O 240/05) ans Herz. Dieses hatte über die Frage zu entscheiden, ob die Bauausführung der Deutschen Bahn am „Lehrter Bahnhof“ (Hauptbahnhof Berlin) die Urheberrechte des Architekten Gerkan an seinem Entwurf verletzte. Das Landgericht entschied zugunsten des Architekten und führte aus:

„Der Hauptbahnhof Berlin, wie er dem Betrachter aus den Plänen der Kläger entgegentritt, genießt als Werk der Baukunst den Schutz des § 3 Bas. 1 Nr. 4 UrhG. Er ist Ausdruck einer individuellen schöpferischen Leistung, die das Durchschnittsschaffen eines Architekten bei Weitem überragt. Als prägend für den Gesamteindruck erweist sich das aus der Funktion des Bahnhofs als Kreuzungsbahnhof abgeleitete Motiv der sich kreuzenden Linien, das die Konzeption als durchgehendes Gestaltungselement durchzieht. Es findet seinen augenfälligen Ausdruck zunächst in den sog. Bügelbauten, die, den Verlauf der unterirdischen Nord-Süd-Trasse nachzeichnend, die Ost-West-Achse überspannen. Der unter dem Hallendach im Innenraum zwischen den beiden Gebäudescheiben verlaufende Raum wird seinerseits von der Trasse der Ost-West-Verbindung durchschnitten. Parallel dazu verlaufen auf den darunter liegenden Ebenen die Fußgängerbrücken als Querverbindung zwischen den entlang der Bügelbauten in Nord-Süd-Richtung angeordneten Ladenzeilen. Dabei überspannen sie zugleich die unterirdisch verlaufenden Bahngleise, auf die sie den Blick mindestens teilweise frei geben. Insgesamt ergibt sich daraus für den Betrachter ein ausgeklügeltes System sich mehrfach kreuzender, ineinander verschachtelter Gebäudeteile. Das Kreuzungsmotiv bestimmt aber nicht nur die Zuordnung der einzelnen Bauelemente zueinander, sondern findet sich auch in der Ausgestaltung im Detail wieder. Sowohl das Glasdach als auch die Fassaden der beiden Gebäudescheiben weisen ein Gittermuster auf, das einem vorgegebenen, den gesamten Baukörper durchziehenden Raster folgt und dadurch die Proportionen aller Gebäudeteile in einen harmonischen Einklang miteinander bringt. Hinzu tritt die Besonderheit, dass die technisch notwendigen Tragwerksstrukturen sichtbar bleiben und als integraler Bestandteil der sichtbaren Formgebung zum ästhetischen Gesamteindruck beitragen. Insgesamt erwächst daraus ein Gestaltungsüberschuss, der die durch die reine Funktionalität eines Bahnhofs vorgegebene Formgebung deutlich überragt und das ästhetische Empfinden des Betrachters unmittelbar anspricht.“ 

Damit steht dem Urheber eines Bauwerks, also etwa dem Architekten, unter anderem das ausschließliche Recht zur Vervielfältigung und zur öffentlichen Wiedergabe seines Werkes zu, § 15 UrhG. Davon ist auch das Recht umfasst, Fotografien vom Bauwerk anzufertigen und diese Abbildungen dann zu verwerten. 

„Knipsgebühren“ für Bilder von Gebäuden?

Ein Urlaubsfoto auf Facebook hochladen und Lizenzgebühren entrichten?

Demnach müsste jede Person, die ein Bild von einem Gebäude oder einem Kunstwerk im öffentlichen Raum anfertigt und dieses im Internet, etwa auf Flickr, Instagram, Facebook, Twitter oder im eigenen Blog, hochlädt, zunächst die Einwilligung des entsprechenden Urhebers einholen. Dazu kämen eventuell an den Urheber zu entrichtende Lizenzgebühren. Es ist dabei egal, ob das Bauwerk nur im Hintergrund zu erkennen ist oder den Hauptteil des Bildes ausmacht. Eine derartig strikte Regelung wäre nicht nur völlig impraktikabel, sondern auch nicht im Sinne der Urheber: Durch die Aufstellung des Werkes im öffentlichen Raum bringen diese zum Ausdruck, dass das Werk der Allgemeinheit gewidmet ist und auch unbeschränkt von dieser genossen werden darf. Eine kostenfreie Verbreitung der Bilder von Kunst- und Bauwerken dient dem Urheber auch zur Kommunikation mit einem breiten Publikum. Dennoch gibt es immer wieder Versuche, aus der Kunst im öffentlichen Raum Kapital zu schlagen. Zuletzt schlug die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages eine allgemeine Vergütungspflicht für Abbildungen von Kunstwerken im Öffentlichen Raum vor (BT Drucksache 16/7000 S. 264, 265):

Vergütungspflicht für Kunst im öffentlichen Raum


Anders als bei Kunstwerken, die beispielsweise in Museen ausgestellt werden, besteht bei Kunstwerken im öffentlichen Raum keine Vergütungspflicht, wenn Abbildungen zu gewerblichen Zwecken genutzt werden. Dieses führt zum einen zu einer Ungleichbehandlung von Kunstwerken in Gebäuden und von Kunstwerken im öffentlichen Raum. Zum anderen führt es zu einer Benachteiligung der bildenden Künstler, denn anders als der Fotograf, der ein Foto von einem Kunstwerk im öffentlichen Raum anfertigt und aus der gewerblichen Nutzung einen wirtschaftlichen Nutzen ziehen kann, trifft dieses auf bildende Künstler, die Kunstwerke für den öffentlichen Raum schaffen, nicht zu.

 

Panoramafreiheit – eine Regelung der praktischen Vernunft

Daher findet sich in § 59 UrhG als Schranke des Urheberrechts die sogenannte Panoramafreiheit. Unter der Überschrift „Werke an öffentlichen Plätzen“ heißt es dort sinngemäß, dass jede Person urheberrechtlich geschützte Werke, die sich bleibend im öffentlichen Raum befinden, ablichten oder filmen und die Aufnahmen vervielfältigen, verbreiten und wiedergeben darf. Auf ein Einverständnis des Urhebers kommt es also nicht an. § 59 UrhG gehört zu den sogenannten Schrankenbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes, er beschränkt also die Rechte von Urhebern zu Gunsten der Allgemeinheit. Die Idee hinter der „Panoramafreiheit“ ist klar: Kunstwerke an öffentlichen Orten sind Gemeingut.

Die Regelung der Panoramafreiheit im § 59 UrhG geht auf § 20 Kunsturhebergesetz (KUG) vom 9. Januar 1907 zurück. Hier bestand jedoch eine Beschränkung auf die malende und zeichnende Kunst sowie damals erst aufblühende Fotografie. Diese Beschränkung besteht heute nicht mehr. Die damalige Gesetzesbegründung zu § 20 KUG führt an, dass „die Abbildung von Denkmälern, öffentlichen Gebäuden usw. [...] patriotischen und ähnlichen Zwecken diene“ und deshalb keine Vergütungspflicht bestehen solle. Des Weiteren bestanden damals „vom sozialen Standpunkt aus Bedenken [...], da sich an den freien Verkehr, namentlich mit Ansichtspostkarten und photographischen Abbildungen, die Interessen zahlreicher kleiner Gewerbetreibender knüpfen“.

 

Umfang und Grenzen der Panoramafreiheit

Vor diesem Hintergrund wird klar, dass die auch im 21. Jahrhundert heiß diskutierte Panoramafreiheit historische Wurzeln hat und ihr gerade heute eine erhebliche praktische Bedeutung zukommt. Fotos von Bauwerken oder Kunst im öffentlichen Raum dürfen etwa nachgedruckt und als (elektronische) Postkarten oder Kalender verkauft oder anderweitig kommerziell verwertet, ins Internet hochgeladen oder bei einer öffentlichen Veranstaltung ausgestellt oder an die Wand projiziert werden. Im sonst so rigiden deutschen Urheberrecht, in dessen Umfeld oft der inhaltlich falsche Kampfbegriff „geistiges Eigentum“ angeführt wird, stellt dies eine bemerkenswerte Ausnahmeregelung dar.

Panoramafreiheit gilt nur für öffentliche und bleibende Werke

Allerdings gilt die Panoramafreiheit nicht unbegrenzt. Eine Einschränkung findet sich bereits im Wortlaut des Gesetzes, denn umfasst werden nur Werke an öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen. Als öffentlich gelten dabei alle Ansichten, die sich dem Betrachter von einem der Allgemeinheit zugänglichen Ort aus bieten, also etwa auch Blicke von der Straße auf ein Privatgrundstück.

Die Panoramafreiheit und Hilfsmittel: Keine Leiter, kein Selfie-Stick, keine Drohne

Eine Drohne mit Kamera - ein nicht zulässiges Hilfsmittel

Der Beschränkung des Urheberrechts unterfallen nur Abbildungen, die ohne Hilfsmittel aus dem öffentlichen Raum heraus erstellt wurden. Als Hilfsmittel gilt dabei alles, was ungewöhnliche Perspektiven und Einblicke eröffnet: Leitern, Kräne, starke Teleobjektive und gegebenenfalls auch Selfie-Sticks, wenn sie zum Beispiel zur Überwindung von Sichthindernissen eingesetzt werden. Ein von einer Drohne geschossenes Foto oder gefilmtes Video eines Gebäudes unterfällt damit ebenfalls nicht mehr der Privilegierung der Panoramafreiheit, könnte aber je nach Entfernung und Perspektive nach § 57 UrhG als „unwesentliches Beiwerk“ privilegiert sein.

Exkurs: „Unwesentliches Beiwerk“

Das Erfordernis der Unwesentlichkeit des Beiwerks z. B. einer Fotografie oder eines Filmausschnitts fordert einen Gegenstand, der weggelassen oder ausgetauscht werden kann, ohne dass dies dem durchschnittlichen Betrachter auffällt oder ohne dass die Gesamtwirkung des Hauptgegenstandes in irgendeiner Weise beeinflusst wird (BGH Urteil vom 17.11.2014, Az. I ZR 177/13 - Möbelkatalog). Es ist zu beachten, dass „unwesentlich“ nahezu mit unbedeutend gleichzusetzen ist, denn nach Auffassung des BGH würde bereits eine auch nur „geringe“ oder „nebensächliche“ Bedeutung die Privilegierung entfallen lassen. Wesentlich ist demnach, wenn der betreffende Gegenstand erkennbar in das eigentliche Bild- oder Spielgeschehen einbezogen wird, was immer dann der Fall ist, wenn das Beiwerk einen dramaturgischen Zweck erfüllt, stil- oder stimmungsbildend wirkt oder eine bestimmte Wirkung oder Aussage unterstreicht (BGH a.a.O.).

Darf ich alles fotografieren? No way, José!

Das Schloss Neuschwanstein von außen fotografiert.

Nach § 59 Abs. 1 S. 2 UrhG bezieht sich die Privilegierung auch nur auf Abbildungen der äußeren Ansicht von Gebäuden. Für die Verbreitung von Fotos aus dem Inneren des Schlosses Neuschwanstein etwa benötigt man somit die Einwilligung der Bayerischen Schlösserverwaltung. Gegen Fotografien aus dem Gebäudeinneren kann unabhängig vom Ablauf eventueller urheberrechtlicher Schutzfristen aus allgemeinem Eigentumsrecht vorgegangen werden. Dass in jedem Fall die Persönlichkeitsrechte eventuell abgebildeter Personen zu beachten sind, versteht sich von selbst. Werke innerhalb eines Gebäudes oder abgegrenzten Grundstücks können nur ausnahmsweise dann von § 59 UrhG erfasst sein, wenn ein öffentlicher Weg durch sie hindurchführt. Wer Zweifel hat, ob ein Weg öffentlich ist, sollte Nachforschungen anstellen, nachfragen und die entsprechenden Aussagen gerichtsfest dokumentieren. Nicht selten kommt es zu einem Sinneswandel der Eigentümer von Grundstücken oder zu einer Neuwidmung zunächst öffentlicher Wege und damit zu einer Situation, die sich Jahre später nur schwer rekonstruieren lässt. Da die Beweislast hier bei demjenigen liegt, der sich auf das Vorliegen einer Ausnahmeregelung „Panoramafreiheit“ beruft, ist vor allem bei einer kommerziellen Verwertung von Filmaufnahmen oder der gewerblichen Fotografie eine besondere sorgfältige Vorbereitung und Dokumentation erforderlich, wenn nicht das aufwändig erstellte Material mit dem Makel drohender Unterlassungs- und Vernichtungsansprüche belastet sein soll.

Was ist die „Fußgängerperspektive“?

Die "Fußgängerperspektive" ist entscheidend.

Bei Aufnahmen, die nicht unter die Panoramafreiheit fallen, ist eine Verbreitung im Internet dann nur mit dem Einverständnis des Urhebers oder Nutzungsberechtigten des Bauwerkes oder Kunstwerkes zulässig. In einem Rechtsstreit zwischen der Witwe des verstorbenen Künstlers Friedensreich Hundertwasser und einem Fotografen hat der Bundesgerichtshof (Urteil vom 05.06.2003, Az. I ZR 192/00) entschieden, dass Fotografien des Hundertwasserhauses in Wien, die aus der obersten Etage des gegenüberliegenden Hauses aufgenommen wurden, nicht von einem für das Publikum allgemein zugänglichen Ort erfolgten, nämlich einer gegenüber dem Straßenniveau erhöhten Perspektive. So wurden der Klägerin Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz zugestanden.

Der Entscheidung macht noch einmal deutlich, wie eng die Gerichte den „der Allgemeinheit zugänglichen Raum“ verstehen, also die normale „Fußgängerperspektive“. Aus urheberrechtlicher Sicht wohl unzulässig sind daher wahrscheinlich auch die für Google Street View oder ähnliche Dienste ohne Einverständnis der Urheber entstandenen Aufnahmen von Gebäuden, denn die auf den Autos montierten Kameras befinden sich in einer Höhe von knapp drei Metern, die wohl sonst kaum ein Mensch erreichen dürfte (der aktuell größte Mensch der Welt misst 2,51 Meter). Vor diesem Hintergrund kann man eben auch die Verwendung von Selfie-Sticks als riskant ansehen, denn diese Teleskopstöcke eröffnen teilweise Perspektiven, die sich aus dem öffentlichen Raum normalerweise nicht bieten. Allerdings kann man auch argumentieren, dass die große Verbreitung bestimmter Hilfsmittel und der technische sowie gesellschaftliche Fortschritt den der „Allgemeinheit zugänglichen Raum“ erweitert hat – auch um nicht durch eine rigide Auslegung des Urheberrechts weite Teile der Bevölkerung in die Illegalität zu treiben. Mit der zunehmenden Verbreitung von smarten Sensoren, Kameras und Drohnen werden die Gerichte sich in absehbarer Zeit ohnehin vertiefter mit den Fragen des Urheberrechts und dessen Grenzen auseinandersetzen müssen. In der Rechtsprechung oder Fachliteratur sind diese Aspekte, soweit ersichtlich, bisher jedoch noch nicht behandelt worden.

Ist das Kunst oder kann das weg? – Von bleibenden Werken

Was ist bleibende Kunst?

Um die Panoramafreiheit genießen zu können, müssen die abgebildeten öffentlichen Werke auch bleibend sein. Aktionskunst, Kunstwerke einer Wanderausstellung oder Werke, die auf dem Transportwege an ihren Bestimmungsort abgelichtet wurden, unterfallen nicht der Panoramafreiheit. Das Tatbestandsmerkmal „bleibend“ enthält keine zeitlichen Vorgaben, sondern stellt vorrangig auf den Willen des Künstlers ab. Bleibend ist demnach ein Werk, das nach dem Willen des Künstlers (oder des Berechtigten) nicht fortgeschafft werden soll, wenn die Präsentation des Werkes also nicht im Sinne einer Ausstellung erfolgt, die zeitlich auf Tage oder Monate befristet ist. Unbeachtlich ist dabei, dass das Werk selbst durchaus kurzlebig sein kann. Wie kurzlebig, darüber streiten sich die Gelehrten. Einerseits gelten Straßenkunst, Plakatwände, Eisskulpturen oder „Food Art“ als vergängliche Kunst, die der Panoramafreiheit unterfällt, andererseits hat der Bundesgerichtshof im Fall des von Christo und Jeanne-Claude mehrere Monate verhüllten Reichstags entschieden, dass hier nicht die Panoramafreiheit einschlägig sei, so dass für eine Verwertung der Bilder das Einverständnis der Künstler erforderlich war (BGH Urteil vom 24.01.2002, Az. I ZR 102/99).

 

Fallbeispiel: Der Kussmund der Aida

Um zu erkennen, wie umstritten Sachverhalte aus dem Dunstkreis der Panoramafreiheit sind, und zu verstehen, wie diffizil sich die Abwägung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 59 UrhG darstellt, lohnt ein Blick auf die taufrische Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln (Urteil vom 23.10.2015, Az. 6 U 34/15) zur Panoramafreiheit bei einem auf einem Seeschiff angebrachten Werk. Es geht um den Kussmund der AIDA, das unverkennbare Markenzeichen der AIDA Cruises. 

Die Klägerin ist Veranstalterin von Kreuzfahrten, alle ihre Kreuzfahrtschiffe sind mit dem so genannten „AIDA Kussmund“ dekoriert. Das Motiv besteht aus einem am Bug der Schiffe angebrachten Mund, seitlich an den Bordwänden angebrachten Augen und von diesen ausgehenden Wellenlinien („Augenbrauen“). Das Motiv wurde von dem bildenden Künstler Feliks B.  zur Verwendung auf den Schiffen geschaffen. Dieser Künstler (Urheber) räumte der Klägerin mit einem Lizenzvertrag das inhaltlich, zeitlich und örtlich uneingeschränkt und ausschließliche Recht ein, die Bemalung an den Bordwänden zu erhalten, zu restaurieren, zu entfernen und erneut, unverändert auf die jeweilige Bordwand zu reproduzieren und die Entwürfe und Reinzeichnungen beliebig zu vervielfältigen.

Corpus delicti: Das streitgegenständliche Bild der AIDA nebst „Kussmund“ (Quelle: Urteil des OLG Köln „AIDA Kussmund)

Der Beklagte betrieb eine Website, auf der unter anderem Ausflüge bei Landgängen auf Kreuzfahrtreisen in Ägypten angeboten wurden. Auf dieser Seite veröffentlichte er ein Foto der Seitenansicht eines der AIDA-Schiffe der Klägerin, auf dem der „AIDA Kussmund“ teilweise zu sehen ist. Die Klägerin begehrte vom Gericht die Verurteilung des Beklagten zu Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung und Schadensersatz. Die Klägerin meint, die Nutzung des Fotos sei nicht aufgrund der Schrankenregelung des § 59 UrhG zulässig, da sich das Kunstwerk nicht an öffentlichen Straßen oder Plätzen befinde. 

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Verwendung des Fotos auf der Seite des Beklagten stelle eine Verletzung ihrer Rechte an dem „AIDA K.“ dar. Die Nutzung des Fotos sei nicht aufgrund der Schrankenregelung des § URHG § 59 UrhG zulässig, da sich das Kunstwerk nicht an öffentlichen Straßen oder Plätzen befinde. Jedenfalls trage der Beklagte hierfür die Darlegungs- und Beweislast.

Das Oberlandesgericht Köln setzte sich in seiner Entscheidung intensiv mit der Vorschrift des § 59 UrhG auseinander und kommt zum folgenden Ergebnis:

  1. Ein an einem Seeschiff außen angebrachtes Werk darf nach § 59 UrhG vervielfältigt und öffentlich zugänglich gemacht werden.
  2. In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, ob sich der Fotograf zum Zeitpunkt der Aufnahme an einem öffentlich zugänglichen Platz befunden hat. Maßgeblich ist allein, ob das Werk in einer Perspektive wiedergegeben wird, die nicht ausschließlich von einem der Allgemeinheit unzugänglichen Ort aus wahrnehmbar ist.

Das Oberlandesgericht führt in den sehr lesenswerten Urteilsgründen zum Merkmal „bleibend“ aus:

„Nach § 59 Abs. 1 S. 1 UrhG muss sich das Werk „bleibend“ im öffentlichen Raum befinden. Damit sollen jedoch nur Werke, die sich lediglich vorübergehend im öffentlichen Raum befinden, von der Schrankenregelung ausgenommen werden. Das allgemeine Interesse an der Freiheit des öffentlichen Raums erfordert es nicht, dass die Rechte des Urhebers an einem Kunstwerk, das sich nur vorübergehend im öffentlichen Raum befindet, eingeschränkt werden (BGHZ 150, S. 6 = GRUR 2002, 605, 606- Verhüllter Reichstag). „Bleibend“ ist daher nicht dahingehend zu verstehen, dass die Vorschrift lediglich auf ortsfeste Werke Anwendung finden kann.“ 

Dann schwenkt das Oberlandesgericht auf den Kern des Problems, nämlich, dass es sich bei den Kreuzfahrtschiffen der AIDA-Cruises ja um Fortbewegungsmittel handelt, bei denen eine gewisse Mobilität zur Natur der Sache gehört. Sind bewegliche Objekte dann noch „bleibend“ im Sinne der Vorschrift des § 59 UrhG? 

Das Gericht dazu:

„Gerade das Interesse der Allgemeinheit an der Freihaltung des öffentlichen Raumes gebietet es, auch Werke an Fahrzeugen, die bestimmungsgemäß jedenfalls überwiegend im öffentlichen Raum eingesetzt werden, wie dies beispielsweise bei Omnibussen oder Straßenbahnen der Fall ist, in den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen zu lassen. Fahrzeuge wie Straßenbahnen, Busse oder auch Lastkraftwagen werden zunehmend als grafisch aufwändig gestaltete Werbeträger eingesetzt. Jedenfalls ein nicht unerheblicher Teil dieser Gestaltungen dürfte als Werke der angewandten Kunst urheberrechtlich schutzfähig sein. Die Freiheit der Wiedergabe des öffentlichen Raumes würde empfindlich eingeschränkt, wenn allein die zufällige Anwesenheit eines solchen Fahrzeugs bereits urheberrechtliche Ansprüche auslösen würde. Ein Künstler, der Werke für diesen Einsatzzweck schafft, muss von vorneherein damit rechnen, dass seine Werke von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden, ohne dass er diese Wahrnehmbarkeit steuern kann. Die Vorschrift des § 59 UrhG ist daher auch auf mit Fahrzeugen verbundene Werke anwendbar, die bestimmungsgemäß im öffentlichen Raum eingesetzt werden (Ernst, ZUM 1998, Seite 475, 480; Lüft, in: Wandtke/Bullinger, UrhG, 4. Aufl. 2014, § 59 Rn. 5; Vogel, in: Schricker/Loewenheim, UrhG, 4. Aufl. 2010, § 59 Rn. 4; a. A. Gass, in: Möhring/Nicolini, UrhG, 2. Aufl. 2000, § 59 Rn. 17). 

Der letzte Satz bringt es dann auf den Punkt, „bleiben“ heißt nicht „stehenbleiben“:

„Auch in diesem Fall verbleibt das Werk dauerhaft im öffentlichen Raum, nur eben nicht immer an der gleichen Stelle.“

Auch der Umstand, dass sich ein derart künstlerisch verschönertes Fortbewegungsmittel zeitweise an nicht öffentlich zugänglichen Orten, z. B. in der Werkstatt, der Garage oder etwa in einer Werft befindet, steht nach Auffassung des Gerichts der Panoramafreiheit nicht entgegen:

„Auch ein öffentlicher Raum verliert nicht seinen Charakter als öffentlicher Raum, wenn er zeitweilig (etwa nachts) unzugänglich ist (RGSt 40, 122, 126; Ernst, ZUM 1998, 475, 480; Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, 5. Aufl. 2015, § 59 Rn. 3).“

§ 59 UrhG erfasst Werke an „Wegen, Straßen oder Plätzen“ und ist damit in erster Linie auf urheberrechtliche Werke zugeschnitten, die sich auf dem Festland befinden. Das OLG Köln bestimmt jedoch im Wege der teleologischen Auslegung, also entsprechend dem Sinn und Zweck der Norm, dass dieser Zweck allgemein in der Freihaltung des öffentlichen Raums besteht. Und dieses Anliegen des Gesetzgebers erfordere es, die Panoramafreiheit auch auf Werke anzuwenden, die sich auf öffentlichen Wasserstraßen befinden, denn auch diese seien eben öffentlich zugänglich:

Im vorliegenden Fall ist das Werk „AIDA K.“ dauerhaft für ein Seeschiff geschaffen worden, das bestimmungsgemäß dazu dient, auf hoher See, auf Seewasserstraßen und in Seehäfen eingesetzt zu werden. Das zu seiner Verzierung geschaffene Werk war daher von vornherein dazu bestimmt, im öffentlichen Raum wahrgenommen zu werden.“

Schließlich kommt das Gericht noch einmal auf die Frage der richtigen Perspektive zu sprechen. Es sei unerheblich, ob sich der Fotograf bei der Aufnahme des streitgegenständlichen Bildes an einer öffentlich zugänglichen Stelle befunden habe. Zutreffend sei zwar, dass § 59 UrhG nur Aufnahmen und Darstellungen des geschützten Werkes privilegiert, die den Blick aus dem öffentlichen Raum wiedergeben. Diese Schrankenbestimmung soll es dem Publikum ermöglichen, das, was es von der Straße aus mit eigenen Augen sehen kann, als Gemälde, Zeichnung, Fotografie oder im Film zu betrachten. Von diesem Zweck der gesetzlichen Regelung ist es demnach nicht mehr gedeckt, wenn der Blick von einem für das allgemeine Publikum unzugänglichen Ort aus fixiert werden soll, wie es z. B. durch Hilfsmittel wie Leitern und Drohnen der Fall ist oder, wie bereits eingangs beschrieben, durch das Fotografieren aus der ungewöhnlichen Perspektive der oberen Etage eines nicht öffentlich zugänglichen Nachbargebäudes. Das Gericht präzisiert die Kriterien der aus der „Hundertwasserhaus-Entscheidung“ des BGH etwas und erklärt:

Aus dieser Begründung folgt, dass nicht der konkrete Standort des Fotografen maßgeblich ist, sondern die Perspektive, aus der das betreffende Werk auf der Darstellung wahrnehmbar ist. Entspricht diese grundsätzlich einer solchen, die für die Allgemeinheit zugänglich ist, kommt es auf den konkreten Standort des Fotografen nicht mehr an.“

Für den konkreten Fall eines Schiffes im Hafen, das so oder ähnlich wahrscheinlich bereits von jedem Kreuzfahrtreisenden oder Besucher eines Hafens „geknipst“ wurde bedeutet dies einen „Freispruch“ im Namen der Panoramafreiheit:

„Auf dem streitgegenständlichen Bild wird das zugunsten der Klägerin geschützte Werk nicht in einer Perspektive gezeigt, die ausschließlich von einem der Allgemeinheit unzugänglichen Ort aus wahrnehmbar wäre. Eine Aufnahme des geschützten Werkes wie die streitgegenständliche kann von jedem beliebigen Ort aus, sowohl von einem öffentlich zugänglichen Ufer wie auch von einem anderen Wasserfahrzeug auf einer dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Wasserstraße, erstellt werden. Schließlich ist auch nicht ersichtlich, dass sich das Schiff zum Zeitpunkt der Aufnahme in einem Gewässer befunden hat, das der Allgemeinheit nicht zugänglich gewesen wäre. Es liegt offensichtlich in einem Hafen, der auch für andere Wasserfahrzeuge zugänglich ist, wie die im Vordergrund abgebildeten Boote belegen.“

Das sind doch mal gute Nachrichten für Urlauber und Hobbyfotografen. 

Keine Panoramafreiheit? Rechtsfolgen einer Urheberrechtsverletzung

Neue Konfliktfelder durch dreidimensionale Erfassung und Reproduktion.

Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 59 UrhG vor, dürfen die einschlägigen Werke in jeder Weise abgebildet werden. Sie können fotografiert, gefilmt, gemalt oder gezeichnet werden. Erlaubt ist aber stets nur eine zweidimensionale Vervielfältigung, was bei moderner Sensorik, die auch dreidimensionale Erfassungen und Reproduktionen (3D-Druck) möglich macht, ein weiteres Konfliktfeld eröffnet. 

Wer jedoch eine Abbildung nutzt, die nicht von der Panoramafreiheit gedeckt ist und ein eigentlich notwendiges Einverständnis des oder der Urheber (wichtig: Alle müssen zustimmen) nicht erteilt wurde, setzt sich erheblichen Risiken aus. 

Nach § 97 UrhG kann der Urheber vom Verletzer Unterlassung, Beseitigung (Vernichtung) und Schadensersatz verlangen. Letzterer umfasst sowohl die Kosten der Rechtsverfolgung, also typischerweise die Abmahnkosten durch das Einschalten eines Rechtsanwalts, als auch eine Entschädigung für die unberechtigte Nutzung des Werkes. Die Höhe der Entschädigung richtet sich dabei regelmäßig nach der Höhe der Lizenzgebühr, die der Verletzer dem Urheber für die Nutzung üblicherweise hätte zahlen müssen. Damit sind sehr hohe Schadensersatzforderungen denkbar, insbesondere bei umfangreicher kommerzieller Verwertung in Bildbänden, Filmen oder multimedialen Online-Projekten.

 

Zankapfel Eiffelturm: Europäische Regelung zur Panoramafreiheit fehlt

§ 59 UrhG nur für Deutschland

All diese sehr spezifischen Ausnahmen und Einschränkungen, die teils an der Lebenswirklichkeit vorbeigehen, gelten nur für in Deutschland befindliche Werke. In vielen europäischen Ländern ist die Situation teilweise eine völlig andere. So sind Großbritannien und die Niederlande etwa noch großzügiger und gestatten in ihren Urheberrechtsgesetzen auch die kommerzielle Nutzung von Abbildungen öffentlich zugänglicher Innenräume. Besonders rigide ist dagegen Frankreich. In unserem Nachbarland gibt es grundsätzlich keine Panoramafreiheit. Die Veröffentlichung von Fotos des Eiffelturms bei Tag ist dennoch ohne weiteres zulässig – weil die Betreiberfirma Societe d’exploration de la tour Eiffel („SETE“) auf diese Veröffentlichungsrechte verzichtet hat. Anders ist es bei Bildern des nächtlichen Eiffelturms. An der Beleuchtung hat SETE ein eigenes Urheberrecht, das das Unternehmen auch ausübt. Eine kommerzielle Nutzung darf nur mit Erlaubnis der Betreiberfirma erfolgen.

Daher ist vor der Nutzung von in anderen Ländern erstellten Abbildungen zunächst zu prüfen, ob deren Gesetze eine Panoramafreiheit kennen oder nicht – und falls ja, welchen Umfang diese hat.

Ausblick zur Panoramafreiheit: Gesetzesinitiativen der Europäischen Union

Gesetzesinitiativen der EU zum Panoramarecht

Eine derartige Rechtszersplitterung ist der europäischen Union (EU) natürlich ein Dorn im Auge, in Zeiten des grenzüberschreitenden Verkehrs und des Internets nicht zeitgemäß und ein erhebliches Hindernis für den gemeinsamen Binnenmarkt. Daher verabschiedete die Europäische Union bereits im Jahr 2001 die sogenannte Urheberrechtsrichtlinie, um bestimmte Fragen einheitlich zu regeln. Die Panoramafreiheit war davon allerdings nicht betroffen. 

In die Diskussion geriet im Jahr 2015 eine geplante Änderung der Richtlinie, deren Vorgaben in deutsches Recht umgesetzt werden müssen. Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments schlug vor, die Panoramafreiheit europaweit auf nicht kommerzielle Nutzungen zu begrenzen, wogegen eine breite Front Sturm lief und sich im Zuge dessen auch in Tageszeitungen teilweise missverständliche Artikel häuften. Dieser Vorschlag wurde vom Europäischen Parlament aber abgelehnt. Die deutsche Regelung bleibt also bis auf weiteres unverändert.

 

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