Digitaler Nachlass – wenn man mehr als Omas Pyjama erbt

Niemand ist unsterblich, auch Chuck Norris nicht. Doch gelten im Internet die gleichen Spielregeln? Die wenigsten Menschen denken in jungen und gesunden Jahren daran, ihren weltlichen Besitz in einem Testament zu verfügen – und noch weniger verfügen, was mit ihren digitalen Konten nach dem Tod geschehen soll. Es gibt unzählige Möglichkeiten, sich im Netz zu verewigen, Verpflichtungen einzugehen oder seine Persönlichkeit preiszugeben: Man denke hier nur an die vielen Social Media-Accounts wie Facebook, Instagram und Youtube, an eigene Websites, an Kundenkonten bei eBay und Amazon und an das Online-Banking. Wer jedoch glaubt, „Digitales“ sei nur ein Thema der jungen Generation, der irrt. Großeltern, die ein iPad besitzen, E-Mails versenden und empfangen oder in Online-Datingportalen neue Kontakte knüpfen, sind keine Seltenheit mehr.

 

Inhaltsverzeichnis

 

Digitaler Nachlass: Womit müssen Erben heute rechnen?

Lassen sich Konten, die an die Persönlichkeit des Verstorbenen geknüpft sind, überhaupt vererben? Was tun, wenn Passwörter des Verstorbenen nicht bekannt sind, kann der Provider helfen? Und was hat Chuck Norris mit all dem zu tun? Hier ein Ausflug in die vernetzte Welt des digitalen Erbes:

 

E-Mail kontra Brief gibt es einen Unterschied? Eine Bewertung aus erbrechtlicher Sicht:

Zunächst stellt sich die Frage, ob „Digitales“ überhaupt vererbt und der Erbe somit in die Pflicht genommen werden kann. Gemäß § 1922 BGB geht mit dem Tode einer Person (Erbfall) deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen (Erben) über. Die E-Mail beispielsweise müsste also dem Vermögen des Erblassers zuzurechnen sein. Vererbbar sind grundsätzlich alle vermögenswerten Rechte und Rechtspositionen – und damit auch die vermögenswerten Bestandteile des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

Wie die E-Mail zum Vermögen wird, lässt sich einfach veranschaulichen: Der Erbe erbt nicht die E-Mail oder gar deren Inhalt. Vielmehr geht das Eigentum an dem Laptop oder der Festplatte, auf der die Mails gespeichert sind, im Wege der Gesamtrechtsnachfolge über. Übertragen auf den Brief erbt der Erbe das Eigentum an dem Papier, der geschriebene Inhalt gehört dann zwangsläufig dazu. Die Konsequenz: Mit dem neu gewonnen Eigentum kann der Erbe verfahren wie er möchte. Und: Das kann er unabhängig davon, ob sich der Inhalt des neuen Eigentums auf das Private oder Geschäftliche bezieht. Ausschlaggebend ist allein der Vermögensbegriff im Sinne des § 1922 BGB.

 

Digitales Erbe: Persönlichkeit ist nicht vererbbar – oder etwa doch?

Dass nicht jeder Interesse am Facebook-Account von Tante Inge hat, mag einleuchten. Doch was, wenn der verstorbene Angehörige eine Person des öffentlichen Lebens war? Was, wenn man der Enkel oder die Tochter von Chuck Norris ist? Dann hat das geerbte Facebook-Konto nämlich nicht nur ideellen Wert, sondern kann auch von großem wirtschaftlichen Wert sein. Wer möchte da nicht gerne Erbe sein? Doch oft erhalten die Erben keinen Zugang zu den digitalen Accounts. Warum Zugangsdaten nach dem Tod einer Person nicht herausgegeben werden, liegt vielfach an dem Einwand, dass personenbezogene Daten und somit auch Facebook-Konten, dem „postmortalen Persönlichkeitsschutz“ unterliegen.

Gut zu wissen: Das postmortale Persönlichkeitsrecht wird allerdings erst dann verletzt, wenn durch die Art und Weise der Nutzung des Persönlichkeitsrechts die Menschenwürde des Verstorbenen verletzt wird.

Eine Verletzung kann dann vorliegen, wenn Details aus der Privat- oder Intimsphäre des Verstorbenen veröffentlicht werden (beispielsweise aus dem Liebesleben des Verstorbenen) oder falsche Behauptungen und Beleidigungen den Weg in die Öffentlichkeit finden. Tatsächlich ist es so, dass Teile des Persönlichkeitsrechts durchaus vererbbar sind, nämlich die sogenannten vermögensrechtlichen Bestandteile des Persönlichkeitsrechts. Ein Teil des Persönlichkeitsrechts verselbstständigt sich und kann auch nach dem Tod als Vermögensobjekt nach § 1922 BGB vererbt werden – das allerdings nur unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen. Liegt also ein Testament vor, kann die Situation ganz anders aussehen. Gerade mit Blick auf die Kommerzialisierung und Popularität einiger bekannter Persönlichkeiten kann nicht bestritten werden, dass beispielsweise der Name der Person einen nicht unerheblichen Geldwert besitzen kann. Die Person ist dann nicht nur Mensch, sondern auch Marke. Verstirbt ein Star, geht es zudem meist um mehr als nur ein Facebook-Konto: Auch immaterielle Güter sind trotz ihres Persönlichkeitsbezuges stark vermögensbezogen und damit auch vererbbar. Dies gilt für Urheberrechte (§ 28 I UrhG), Patentrechte (§15 I PatG), Gebrauchsmuster (§ 22 I GebrMG) und Geschmacksmuster (§ 29 GeschMG).

 

Digitaler Nachlass - Digitales Erbe

Digitale Hinterlassenschaft: Schnell sein lohnt sich

Erben kann schön, traurig, ungerecht und manchmal auch teuer sein. Wer erbt, der erbt mit allen Rechten und Pflichten und sollte sich so schnell wie möglich auf die Suche nach Verpflichtungen machen, die vielleicht im Verborgenen liegen. Es gehören nicht nur die Festplatte oder der Laptop zum Nachlass, auch Verträge, die online abgeschlossen wurden, sind ein Teil des Erbes. Wer die verborgenen Pflichten aufspüren möchte, dem sei empfohlen, einen Blick in das E-Mail-Postfach des Verstorbenen zu werfen. Verträge, Online-Abonnements oder Mahnungen, eine erste Recherche liefert hier gewiss schon aufschlussreiche Anhaltspunkte.

Doch was tun, wenn der Verstorbene seine Zugangsdaten zum E-Mail-Account nicht hinterlegt hat oder es sich um noch nicht abgerufene E-Mails handelt? Nicht abgerufene E-Mails befinden sich nicht auf dem Speichermedium des Erblassers, sondern auf den Servern der jeweiligen Anbieter. Der Erbe kommt in diesem Fall nicht durch die Vererbung des Eigentums an die E-Mail. Dafür geht der E-Mail-Service-Vertrag als Vertragsverhältnis mit dem Tod des ehemaligen Account-Inhabers auf den Erben über – genauso wie auch ein mietvertragliches oder girovertragliches Verhältnis gemäß § 1922 BGB auf den Erben übergeht. Daraus folgt, dass neben dem Hauptleistungsanspruch (der Möglichkeit, E-Mails zu empfangen, zu versenden und abzurufen) aus dem Vertrag zwischen Erblasser und Provider Auskunftsansprüche bezüglich der Passwörter oder sonstiger anderer relevanter Zugangs- und Vertragsdaten auf den Erben übergehen.

 

Digitaler Nachlass: Wenn das Erbrecht mit dem Fernmeldegeheimnis kollidiert

Doch immer wieder zeigt sich: Die Praxis ist deutlich komplizierter. Das Problem: Unterschiedliche Provider beziehungsweise Dienstleister nutzen unterschiedliche AGBs, einige haben ihren Sitz im Ausland. Nicht selten finden sich in den Verträgen Klauseln, die bestimmen, dass der Account im Todesfall, samt der gespeicherten Inhalte, erlischt und Daten nicht freigegeben werden, eine beglaubigte, ins Englische übersetzte Kopie der Sterbeurkunde vorgelegt werden muss oder die Kontoinhalte nur in Form einer Daten-DVD weitergegeben werden. Der Grund für die unterschiedliche Handhabung ist die aktuelle Rechtslage, die den Kommunikationsdiensten alles andere als Rechtssicherheit bietet. Auf der einen Seite unterliegen die Diensteanbieter sowohl dem Fernmeldegeheimnis des § 88 TKG als auch den Regelungen des Artikels 10 GG (FRAPORT-Entscheidung des BVerfGE 128, 226). Das bedeutet, dass sie Inhalte der Kommunikation, deren Umstände sowie die Identität der am Kommunikationsvorgang Beteiligten geheim zu halten haben. Auf der anderen Seite zählt zu den verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern auch das durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistete Erbrecht. Ist für die Realisierung des Erbrechts mit Blick auf den digitalen Nachlass notwendigerweise das Bekanntgeben der Account-Daten oder Passwörter durch den Internet-Provider notwendig, geraten in diesem Moment zwangsläufig das Erbrecht und das Fernmeldegeheimnis in ein Spannungsverhältnis. Ein Konflikt, der zurzeit noch ungelöst ist und vom Gesetzgeber unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dringend gelöst werden muss.

 

Rasante Technologien, antike Gesetze – der digitale Nachlass

Einen Gesetzesvorschlag gibt es schon. Wie so oft lässt die konkrete Umsetzung durch den Gesetzgeber jedoch auf sich warten. Bereits im Jahre 2013 gab der Deutsche Anwaltverein eine umfangreiche Stellungnahme zum digitalen Nachlass ab, inklusive ausgearbeitetem Gesetzesentwurf. Der Entwurf sieht unter anderem vor, § 88 TKG um einen fünften Absatz zu ergänzen. Dieser soll den Diensteanbietern die Möglichkeit eröffnen, in das Vertragsverhältnis gegenüber dem Gesamtrechtsnachfolger einzutreten, sofern zuvor gemäß § 1922 BGB Vertragsbeziehungen oder einzelne Ansprüche über Telekommunikationsdienste oder über Telekommunikationsinhalte auf den Erben übergegangen sind. Zudem dürfte der Dienstanbieter dann dem Gesamtrechtsnachfolger in gleicherweise Zugang zu den bei ihm gespeicherten Daten gewähren wie dem ursprünglichen Teilnehmer. Eine Lösung, die das Spannungsverhältnis zwischen dem Erbrecht und dem Fernmeldegeheimnis lösen würde sowie für mehr Rechtssicherheit im Umgang mit dem digitalen Nachlass in der Praxis sorgen könnte.

Gesetzesvorschlag des Deutschen Anwaltsvereins:

 43c TKG-E

(1) 1 Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner, der mit einem Teilnehmer einen gemeinsamen Haushalt führt, tritt bei Verträgen über Telekommunikationsdienste im Festnetz mit dem Tod des Teilnehmers in ein vom Teilnehmer allein geführtes Vertragsverhältnis ein. 2Leben in einem gemeinsamen Haushalt Kinder des Teilnehmers oder andere Familienangehörige, treten diese mit dem Tod des Teilnehmers in dessen Vertrag ein, wenn der Ehepartner oder eingetragene Lebenspartner nicht eintritt. 3Dasselbe gilt für Personen, die mit dem Teilnehmer einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt führen.

(2) 1Erklärt eine in das Vertragsverhältnis eingetretene Person innerhalb eines Monats, nachdem sie vom Tod des Teilnehmers Kenntnis erlangt hat, dem Telekommunikationsdiensteanbieter gegenüber, dass sie das Vertragsverhältnis nicht fortsetzen will, gilt der Eintritt als nicht erfolgt. 2Sind keine Personen nach Absatz 1 in das Vertragsverhältnis eingetreten, setzt sich das Vertragsverhältnis mit den Erben des Teilnehmers fort. 3Für geschäftsunfähige oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Personen gilt § 210 BGB entsprechend.

(3) Sind mehrere Personen gemeinsam Vertragspartner eines Telekommunikations- vertrags, so wird das Vertragsverhältnis beim Tod eines Vertragspartners mit den Überlebenden allein fortgesetzt.

(4) Vor dem Übergang bestehende Ansprüche, insbesondere Zahlungspflichten, Auskunfts- und Herausgabeansprüche, bleiben von den Regelungen in den Absätzen 1 bis 3 unberührt.

2 § 88 Abs. 5 TKG-E

88 TKG wird um folgenden Abs. 5 ergänzt:

(5) 1 Gehen gemäß § 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuches Vertragsbeziehungen oder einzelne Ansprüche über Telekommunikationsdienste oder über Telekommunikations- inhalte im Wege der Universalsukzession über, so besteht die Befugnis des Diensteanbieters nach Absatz 3 Satz 2 auch gegenüber dem Gesamtrechtsnachfolger sowie gegenüber solchen Personen, die gemäß 43c in das Vertragsverhältnis des Teilnehmers eintreten. 2Der Diensteanbieter kann diesen Personen insbesondere in gleicher Weise Zugang zu den bei ihm gespeicherten Daten gewähren wie dem ursprünglichen Teilnehmer.

Auch in den USA hat sich etwas getan: Bereits 19 Bundesstaaten, jüngst Florida, haben Gesetze konzipiert, die den digitalen Nachlass („digital asset“) einerseits schützen und andererseits Erben das Recht geben sollen, Zugang zu den hinterlassenen Accounts zu erhalten und diese schließlich verwalten zu können. Die neuen Gesetze der Bundesstaaten beruhen größtenteils auf einem Gesetzesvorschlag der Uniform Law Commission (ULC). Der Vorschlag sieht vor, einer Person, die das Vermögen einer anderen Person in deren Interesse verwaltet (zum Beispiel als Trustees, Power of Attorney oder Executor), die Möglichkeit zu geben, auch deren schwer greifbaren digitalen Nachlass zu verwalten. Die neuen Freiheiten des „fiduciary“, so werden die Verwalter genannt, beschränken sich laut der ULC jedoch auf Computer-Dateien, Web-Domains und virtuelle Währungen (beispielsweise Bitcoin). Der Zugang zu elektronischen Kommunikationsmitteln wie E-Mail-Accounts, Textnachrichten und sozialen Netzwerken bleibt verwehrt, es sei denn, der Erblasser stimmte bereits vor seinem Tod einem Fremdzugang zu. Die Zustimmung wiederum kann jedoch ausschließlich nur über ein vorliegendes Testament oder eine vorliegende Vollmacht zum Ausdruck gebracht werden. Grundsätzlich ist das eine Entwicklung, die zu begrüßen ist. Offenbar wurde auch in den USA erkannt, dass der digitale Nachlass einen neuen, rechtlichen Rahmen erfordert. Ob sich die Regelungen in der Praxis als tauglich erweisen, bleibt abzuwarten, insbesondere da das Kernproblem – der oftmals problematische Zugang zu E-Mail-Accounts oder sozialen Netzwerken – nicht gelöst wurde.

Wendet man den Blick nach Deutschland und die Rechtslage beim digitalen Nachlass, empfiehlt sich vor allem eines: Vorsorge. Und wo es Bedarf gibt, gibt es auch einen Markt. Längst gibt es Agenturen, die sich auf das Verwalten und Löschen der digitalen Hinterlassenschaft spezialisiert haben und entsprechende Dienstleistungen anbieten. Unser Tipp: Die Formulierung eines unmissverständlichen Willens und das Hinterlassen erforderlicher Zugangsdaten erleichtern dem Erben das Verwalten des digitalen Erbes und ermöglichen das Löschen von Accounts sowie das Auflösen online geschlossen Verträgen – und damit auch den Abschied von der digitalen Welt.

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