Recht auf Reparatur - Right To Repair
Ein Großteil aller Elektrogeräte fliegt in Deutschland auf den Müll, weil die Reparatur des Toasters, des Fernsehers oder des Smartphones teurer wäre, als ein neuer Kauf. Das ist eine Ressourcenverschwendung, die es zu verhindern gilt. Auch deshalb hat sich Deutschland im Jahr 2015 zur Einhaltung der UN-Nachhaltigkeitsziele, der Sustainable Development Goals oder SDGs, verpflichtet. SDG Nummer 12 zum Beispiel fordert, Konsum und Produktionsweisen nachhaltig zu gestalten – und Wegwerftechnik ist nicht nachhaltig.
Verbraucherverbände in Deutschland fordern aufgrund dieser Selbstverpflichtung, dass Konsumenten ein „Recht auf Reparatur“ der von ihnen erworbenen Waren erhalten. Doch das ist vermintes Terrain, denn wenn Verbraucher reparieren, heißt das weniger Umsatz mit neuen Geräten.
Schauen wir doch mal über den Tellerrand in Richtung Vereinigte Staaten, der Heimat vieler technischer Innovationen. Der amerikanische Supreme Court hat am 30. Mai 2017 in seltener Einigkeit mit 8:0 Stimmen eine bemerkenswerte Entscheidung gefällt. Es stritten sich der Druckerhersteller Lexmark und die Firma Impression Products. Impression Products hat leere Druckerpatronen von Verbrauchern aufgekauft, wieder befüllt und günstiger als Lexmark wiederverkauft. Dieses Geschäftsmodell von Impression soll gegen Patente von Lexmark verstoßen, meinen jedenfalls die Anwälte von Lexmark. Lexmark hat also wegen Verletzung seiner Patentrechte geklagt und versucht, den Weiterverkauf gebrauchter Patronen zu unterbinden. Lexmark meint, man könne einer Ware bestimmte Pflichten auferlegen. Und der Käufer habe sich nach dem Kauf daran zu halten.
Erschöpfungsgrundsatz gilt im US-amerikanischen, europäischen und deutschen Recht
Dieser Auffassung erteilte der Supreme Court eine klare Abfuhr: Der Inhaber eines US-Patentrechtes kann nicht unterbinden, dass ein regulärer Käufer nach dem Kauf mit der Ware macht, was ihm gefällt. Sähe man das anders, wenn also der Hersteller einer Ware bei jedem Weiterverkauf ein Mitspracherecht hätte, dann käme das Prinzip An- und Verkauf zum Erliegen und Second-Hand-Läden müssten schließen. Das ist natürlich widersinnig und so schränkt die Entscheidung des Supreme Court die Rechte der Patentinhaber ein, indem es sich auf den weltweit anerkannten „Erschöpfungsgrundsatz“ bezieht:
"An authorized sale outside the United States, just as one within the United States, exhausts all (patent) rights," schreibt Chief Justice John Roberts in seinem Urteil.
Den Erschöpfungsgrundsatz kennen wir auch im deutschen und europäischen Recht und er besagt, dass der Produzent einer Ware nur ein einmaliges Recht hat, seine Konditionen durchzusetzen, nämlich beim Erstverkauf, und er bei jedem weiteren Eigentumsübergang nur noch Zuschauer ist.
Der Supreme Court bringt hier das US-Patentrecht auf Linie mit dem US-Copyright-Recht. Schon 2013 hat der Supreme Court eine hübsche Entscheidung gefällt, nämlich dass Bücher, die der große US-Verlag John Wiley in Thailand billig auf den Markt wirft, ohne Probleme in die USA reimportiert und verkauft werden dürfen, ohne dass das Copyright des Verlags dadurch beeinträchtigt wird. Das passte Wiley gar nicht. Wir Deutsche kennen das im Zusammenhang mit Autos oder Medikamenten, die als EU-Reimport oft günstiger zu haben sind.
Zurück zum Lexmark-Fall: Zur Begründung seiner deutlichen und mit scharfen Worten gewürzten Entscheidung zitiert das Gericht hier sogar Sir Edward Coke, den Verfasser der berühmten "Institutes of the Lawes of England", also der Grundlage des Englischen Common Law:
"As Lord Coke put it in the 17th century, if an owner restricts the resale or use of an item after selling it, that restriction “is voide, because . . . it is against Trade and Traffique, and bargaining and contracting between man and man.”
Das Gericht stützt sein Urteil auf ein schönes Beispiel, eine typisch amerikanische Analogie: Stellen Sie sich vor, eine kleine freie Kfz-Werkstatt im Rust Belt, im Nordosten der USA, kauft Gebrauchtwagen an, repariert sie, tunt sie und verkauft diese Autos dann mit Mehrwert weiter. Es gibt auf der Welt viele solcher KfZ-Werkstätten oder Tuning-Meister und ähnliche Geschäfte.
Könnten Patentinhaber auch noch nach dem Verkauf des Autos ihren Kunden Einschränkungen auferlegen, wie „du darfst nicht an den Ventilen spielen“ oder „du darfst nicht tieferlegen“, gäbe es solche Tuning-Werkstätten nicht mehr und unserer Volkswirtschaft und unseren motoraffinen Subkulturen kämen Kreativität und Unternehmergeist abhanden. Und, wer jetzt denkt, dass das alles nur Gedankenspiele sind, der hat den Anbruch eines neuen Zeitalters verschlafen, denn das Beispiel des Gerichts ist gar nicht aus der Luft gegriffen.
Traktorenhersteller verbietet Landwirten die Reparatur
Der Traktorenhersteller John Deere zum Beispiel verbietet es Landwirten, also Bauern und Agrarbetrieben, ihre Traktoren selbst zu reparieren oder auch selbst Software- beziehungsweise Chiptuning zu betreiben. Begründet wird dies, wie so oft, mit dem angeblich notwendigen Schutz des geistigen Eigentums von John Deere. Daran soll sich bitteschön niemand vergreifen.
Was wir erleben ist, dass Käufer moderner Produkte mittlerweile geradezu enteignet werden, indem sie zwar die physische Hülle erhalten, im Fall des Traktors sind das Schrauben, Blech und Motor, aber das Herz, also die Steuersoftware des Traktors, ist wiederum nur ein Lizenzprodukt, das Einschränkungen der Funktionalität enthält. Entscheidet der Hersteller, dass eine Funktion in der Software überflüssig ist, schaltet er sie einfach ab und der Bauer, also der Lizenznehmer, guckt in die Röhre. Gibt es einen Streit über Gewährleistungsrechte, verweigert der Hersteller den Support und aus der hochtechnisierten Erntemaschine wird durch eine Sperrfunktion in der Software ein Haufen Schrott.
Leidenschaftliche Technikbastler kennen das Problem auch im Kleinen: Sony hat zum Beispiel den LINUX-Support für die PlayStation 3 einfach abgeschaltet, um ihren Kopierschutz zu retten. Das fanden die Käufer nicht so toll und für Sony wurde es richtig teuer, denn sie mussten die Teilnehmer einer Sammelklage in den USA mit einigen Millionen Dollar entschädigen. Das Problem wurde aber nicht beseitigt, Linux läuft immer noch nicht auf der PS3.
John Deere geht es angeblich um Softwarepiraterie, also darum, dass Schutzmechanismen für die teuren Programme nicht ausgehebelt werden. Wenn man böse wäre, könnte man aber auch auf den –gewiss fernliegenden – Gedanken kommen, dass der Traktorenhersteller lediglich verhindern will, dass Bauern die Maschinen an ihre eigenen Bedürfnisse, an ihre Felder und ihren Untergrund besser anpassen. Und, wo kämen wir da hin, wenn jeder Bauer seine Innovationen selbst herbeiführt und das vielleicht noch günstiger, als der Technikkonzern? Der kann das ja dann gar nicht mehr kontrollieren!
In einem interessanten Artikel in der WIRED vom April 2015 schreibt der Autor Kyle Wiens:
“We Can't Let John Deere Destroy the Very Idea of Ownership”; „Wir dürfen John Deere nicht erlauben, das Wesen des Eigentums zu zerstören.“
Auf der anderen Seite, da will ich fair sein, muss man bedenken, dass echte Innovationen, wie autonome Fahrzeuge ohne hochkomplexe Software, Machine Learning und dicke Datenbanken nicht denkbar sind. Jenseits des Patentrechts wird daher überlegt, ob man den Weiterverkauf, den „downstream process“ solcher Hightech-Wunderwerke nicht doch über das Urheberrecht kontrollieren könnte. Und da treffen wir derzeit einen alten Bekannten wieder, nämlich den Digital Millennium Copyright Act, den DMCA, den wir zum Beispiel durch die Entfernung von YouTube-Videos oder aus den Löschhinweisen auf Google-Suchergebnisseiten kennen, wenn wir nach Links zu aktuellen Kinofilmen googlen.
Right To Repair ist nur fair
Der DMCA wird gerade von US-amerikanischen Juristen als Chance gesehen, Zugriffe auf die Software und damit die Wartung künftiger Fahrzeuggenerationen durch Personen zu verhindern, die nicht vom Hersteller autorisiert wurden. Auch in Deutschland ist die Frage nicht eindeutig geklärt, inwieweit Hersteller die Nutzung ihrer Produkte über den Umweg von Lizenzen einschränken dürfen. Denken wir an das Thema „Jailbreak“ von iPhones, was ja unter dem Gesichtspunkt der IT-Sicherheit für Unternehmen wie Privatleute durchaus Sinn ergeben kann. Aber Apple meint, ein Jailbreak sei eine Verletzung der Endbenutzer-Lizenzvereinbarung. Ob diese Begrenzung Ihrer Rechte als Eigentümer des teuren iPhones wirksam ist, darüber kann man trefflich streiten. Tatsache ist, dass Produkte heute faktisch und rechtlich immer öfter irreparabel werden. Da sind wir wieder beim Recht auf Reparatur.
In mehreren amerikanischen Bundesstaaten werden derzeit Gesetzentwürfe diskutiert, die Verbrauchern ein „Recht auf Reparatur“ einräumen sollen, ein „Right to Repair“. Vertreter der IT-Industrie, allen voran Apple, lehnen diese Initiativen ab, weil sie die Reparaturen lieber selbst vornehmen wollen, immerhin bringt ihnen das Reparaturgeschäft erheblichen Umsatz ein.
Die Gesetzesvorhaben zum Beispiel in Massachusetts, Nebraska, New York, Minnesota und anderen Staaten der USA werden zur Folge haben, dass die Unternehmen Reparaturanleitungen und Beschreibungen der verwendeten Bauteile zu veröffentlichen haben und Ersatzteile und Werkzeuge auch unabhängigen Werkstätten zur Verfügung stellen müssen, und zwar zum selben Preis wie ihren eigenen Vertragswerkstätten. Treten die Gesetze in Kraft, erhalten Konsumenten endlich mehr Optionen, als nur den Gang zum Originalhersteller. Weil das nur fair ist, heißen die Gesetze in einigen Staaten auch „fair repair act“.
John Deere hat bereits einen Protestbrief, einen „Letter of Opposition“, gegen ein in Kansas geplantes Gesetz zum „Right To Repair“ verfasst. Eines der Argumente für den ausschließlichen Einsatz von John Deere-Personal bei Reparaturen ist – ganz interessant – emission compliance, also das Einhalten von Abgasvorschriften. Da sollten Kansas‘ Farmer aufpassen, dass sie nicht mit einem Bein im Gefängnis stehen, wenn sie ihre Maschinen tunen und diese dann mehr Stickoxide in die Luft blasen, als zulässig. Die Manipulation von Abgaswerten sollte man lieber den Profis der Industrie überlassen…
Right To Repair gefährdet vermeintlich die Sicherheit von Geräten
Auch die IT- und Gadget-Industrie empört sich gegen die Gesetzesvorhaben mit dem Argument, dass mit dem „Right To Repair“ die Sicherheit der Geräte gefährdet würde, freilich ohne diese Behauptung zu unterlegen, außerdem würden Urheberrechte untergraben und das Thema sei ohnehin nur aufgebauscht, es gebe ja bereits genügend günstige Reparaturmöglichkeiten für Konsumenten. Kein Gedanke und kein Satz dazu, ist zu lesen, dass Endverbraucher vielleicht selbst gern reparieren und experimentieren wollen.
Unter diesen Knebelbedingungen der modernen Industrie hätte der große Amerikanische Erfinder Thomas Alva Edison wohl nie etwas erfinden dürfen und wir säßen noch bis heute im Dunkeln ohne Glühlampe und Grammophon, von YouTube ganz zu schweigen.